Erst aufwendig sanieren, dann die Miete drastisch erhöhen
Lange verfielen tausende Sozialwohnungen. Nun werden sie aufwendig saniert. Das lässt die Mieten sprunghaft steigen – besonders bei der Gesellschaft „Deutsche Wohnen“. Die Berliner Politik will dem entgegentreten.
Die Stimme von Roger Bach bebt. „Uns kriegen sie hier nicht weg“, ruft er angriffslustig. „Zur Not kette ich mich im Hof an einen Baum.“ Bach ist gebürtiger Prenzlberger, er wuchs in der kleinen Wohnanlage an der Prenzlauer Allee zwischen Grellstraße und Ringbahn auf. Seit 1937 lebt seine Familie hier, seine 84 Jahre alte Mutter ist als Erstmieterin noch immer im gleichen Haus. Doch nun sieht Bach seine Mutter von Entwurzelung bedroht. Das Haus gehört inzwischen der „Deutsche Wohnen“, und vor kurzem hat Berlins größtes privates Wohnungsunternehmen eine umfassende Sanierung der Anlage angekündigt.
Seither geht unter den Bewohnern die Angst um. Roger Bach, früher selbst im Bauwesen aktiv, hat sich die Projektunterlagen besorgt. Seine fachmännische Einschätzung für die Zukunft der Ein- und Zweizimmerwohnungen: „Ich gehe von Mietsteigerungen zwischen 200 und 300 Euro aus.“ Er schnaubt wütend: „Hier wohnen fast nur Leute mit geringem Einkommen. Wer soll das bezahlen?“
Wie den Bachs ergeht es tausenden Mietern. Es sind die finanzschwächsten Einwohner der Stadt. Plötzlich finden sie sich im Zentrum des Renditekampfs auf dem Wohnungsmarkt wieder. Sie sind die menschliche Variable in einer Aufgabe, an der Berlin nach der Wende schon gescheitert ist: Wie lassen sich heruntergekommene Häuser modernisieren, ohne dass die Bewohner hinaussaniert werden?
Bezirkspolitiker inszenieren sich als Retter
Um diese Frage tobt ein Deutungskampf. Bürgerinitiativen skizzieren eine drohende Massenvertreibung der Altmieter. Die „Deutsche Wohnen“ wirft ihnen Panikmache vor. Bezirkspolitiker inszenieren sich als Retter. Dabei sind die Probleme hausgemacht. Anfang der 2000er Jahre versetzte das klamme Berlin sein Tafelsilber, darunter die kommunalen Wohnungsgesellschaften GSW und Gehag. Fast ein Drittel aller städtischen Wohnungen wurden privatisiert.
Das historisch niedrige Mietniveau und der starke Zuzug lässt nun Anleger und Spekulanten im aufgeheizten Berliner Immobilienmarkt träumen – auch die Aktionäre der „Deutsche Wohnen”. Die meisten ihrer gut 110 000 Wohnungen entstammen alten GSW- und Gehag-Beständen. Sie befinden sich in teils denkmalgeschützten Wohnsiedlungen, in Siemensstadt, der Gropiusstadt oder der Siedlung Westend (siehe Grafik). Errichtet vor allem für Geringverdiener, versorgen sie die einkommensschwächsten Haushalte der Stadt bis heute mit günstigem Wohnraum. Noch.
Mieterverein kritisiert Tricks, um Mietspiegel zu umgehen
Gerade die „Deutsche Wohnen“ setzt laut Wibke Werner vom Mieterverein „alle Tricks und Kniffe ein, um den Mietspiegel zu umgehen“. Darunter seien nicht nur ungerechtfertigte Mieterhöhungen und überhöhte Betriebskostenabrechnungen, gegen die sich Mieter zumindest vor Gericht wehren können. Mit Vehemenz setze die Firma auf die effektivste legale Mietsteigerungsstrategie: Modernisierung und energetische Sanierung.
Mieterverein und Bürgerinitiativen werfen dem Unternehmen vor, dass es Gebäude zunächst jahrelang verfallen lässt. Defekte Heizungen, Aufzüge, Türen und Sanitäranlagen würden trotz Meldungen wochenlang nicht repariert. So werde künstlich ein Instandhaltungsstau erzeugt, den man schließlich mit umfassender Modernisierung behebe. „So verkauft man uns die Instandhaltung als teure Modernisierung“, klagt Michaela Pietrzik aus der Eisenbahnersiedlung in Treptow.